„Die Pubertät ist kein Jammertal!“
Vortrag „Pubertät – Baustelle Gehirn“ an der GMS Neubulach
Es gibt wenige absolute Gewissheiten im Leben, aber diese eine gehört dazu: Irgendwann ist sie da, die Pubertät! Und wenn es soweit ist, dann ist das bisweilen nicht vergnügungssteuerpflichtig. Schließlich kann diese Phase kann für Familien und Schule, aber auch für die Jugendlichen selbst alles andere als einfach werden. Was genau während der Pubertät, vor allem aus neurologischer und psychologischer Sicht, war Inhalt des Fachvortrages „Pubertät – Baustelle Gehirn“ von Ralph Bölzner am 09. Februar 2023 an der Gemeinschaftsschule Neubulach.
Pubertät ein modernes Phänomen?
Dass eventuelle Unstimmigkeiten im Zuge der Pubertät keine Erfindung unserer modernen Welt sind, belegte Bölzner gleich zu Beginn seines Vortrags mit dem bekannten Zitat von Sokrates aus dem 5. Jahrhundert vor Christus, in dem sich dieser über die „heutige Jugend“ beklagte, die nicht auf Autoritäten und Eltern höre und ihre Lehrer tyrannisiere. Für die Aktualität des Themas sprach das große Interesse des Publikums, denn die neue Aula der Schule war mit 150 Gästen bis auf den letzten Platz gefüllt. Was passiert, wenn während der Pubertät das Gehirn umgebaut wird? Welche Auswirkungen hat das auf das Verhalten der Jugendlichen? Und für das Publikum besonders wichtig: Wie können Lehrkräfte und Eltern die Jugendlichen in dieser spannenden Phase begleiten, unterstützen und mit ihnen umgehen?
Umbau im Gehirn
Vor allem auf die letzte Frage hatte Bölzner für seine Zuhörerschaft eine ermutigende Botschaft im Gepäck: „Die Pubertät ist kein Jammertal!“. Sie ist im wahrsten Sinne des Wortes eine größere körperlich „Baustelle“. Ging man vor einigen Jahren davon aus, dass es vor allem körperliche Veränderungen sind, weiß man heute, dass vom pubertätsbedingten „Umbau“ vor allem auch das Gehirn betroffen ist. Für die erwachsenen Bezugspersonen ist es wichtig, diese Veränderungen zu kennen und das damit verbundene Verhalten der Jugendlichen entsprechend einordnen zu können. Dieses hängt beispielsweise mit der veränderten Rolle der Amygdala während der Pubertät zusammen. Diese, sehr alte, Hirnregion, hat eigentlich die Aufgabe eine Situation auf ihren Gefährdungscharakter hin zu analysieren und kennt genau drei Verhaltensweisen: Kampf, Flucht und „sich tot stellen“. Wer pubertierende Jugendliche kennt, dem fällt es wie Schuppen von den Augen: Die Amygdala übernimmt während der Pubertät stärker das Ruder, was manchmal zu leicht irrationalen und teilweise überzogenen Verhaltensweisen führen kann: Aufbrausen, Türen knallen, schmollend ein Gespräch aussitzen usw.
Bild: Humorvoll auf den Punkt gebracht. Ralph Bölzner informierte in der vollbesetzten Aula der GMS Neubulach über das Thema „Pubertät – Baustelle Gehirn“.
Kritik an Hausaufgaben und Plädoyer für einen späteren Schulbeginn
Für Ralph Bölzner gibt es immer wieder „neuralgische Punkte“, an denen solches Verhalten besonders häufig zu beobachten ist. Einen identifizierte er in den schulischen Hausaufgaben, die in seiner Beratungspraxis häufig zu entsprechenden Konflikten führten. In diesem Zusammenhang sprach er sich für eine Abschaffung der Hausaufgaben aus und plädierte dafür diese Aufgaben in das schulische Lernen zu integrieren. Eine Aussage, die bei den vielen Eltern der Gemeinschaftsschule, in der es konzeptionell verankert keine Hausaufgaben gibt, viel Zustimmung auslöste. Da sich die der Schlaf-Wach-Rhythmus der pubertierenden Jugendlichen nach hinten verschiebe, sprach sich Bölzner darüber hinaus für einen späteren Schulbeginn aus. Dies werde, vor allem in den USA, in einzelnen Modell- und Eliteschulen bereits so gehandhabt und die Ergebnisse seien sehr ermutigend. Darüber hinaus plädierte er dafür, dass die Schulen verstärkt darauf achteten, dass den Lernenden die Bedeutung und die Anwendbarkeit der Lerninhalte deutlich werde. Der Weg müsse weggehen vom reinen Auswendiglernen für die nächste Klassenarbeit, hin zu tieferem Verstehen und Praxisbezug – beispielsweise im Rahmen von Projekten.
Tipps für Eltern
Vor diesem Hintergrund sollten sich Eltern keine allzu großen Sorgen machen, wenn ihre Kinder am Wochenende lange im Bett bleiben. Im Gegenteil: „Der Schlaf ist essentiell wichtig für die Bildung der Myelinscheiden an den Nervenzellen.“ betonte Bölzner und erläuterte, dass eben diese Myelinscheiden für die Geschwindigkeit bei der Erregungsleitung in den Nervenzellen (und damit für die kognitive Leistungsfähigkeit) eine hohe Bedeutung haben.
Darüber hinaus riet Bölzner den Eltern den „guten Draht“ zu den Jugendlichen nicht zu verlieren – auch wenn ihr Verhalten während der Pubertät manchmal nicht den Erwartungen entspreche. Wichtig sei es, immer wieder gemeinsam Dinge zu unternehmen, die sowohl Jugendlichen als auch Eltern Spaß machen und man gemeinsam eine gute Zeit habe. In schwierigen Situationen helfe es zudem, wenn sich die Erwachsenen eine „Grundgelassenheit“ bewahren. Dabei helfen könne auch ein Netzwerk an Personen, bei denen man auch einmal den eigenen Frust ablassen könne. Als letztes riet er dazu, die positiven Entwicklungen zu sehen und sich immer wieder klarzumachen, dass die Pubertät auch nur eine Phase sei, die irgendwann einmal vorbei gehe.
Schulleiter Dominik Bernhart freute sich darüber, dass das Landratsamt den Vortag ausgerechnet an der Gemeinschaftsschule Neubulach angeboten hatte und war mit dem großen Zuspruch hochzufrieden. „Für unsere Schulgemeinschaft sind solche Veranstaltungen ein wichtiger Bestandteil im gemeinsamen pädagogischen Verständnis und in unserem weiteren Bemühen die GMS wissenschaftlich fundiert zu einer „pubertätsgerechten“ Schule zu machen. Bereits heute setzen wir viele der Forderungen um, beispielsweise indem wir mit 8.10 Uhr einen vergleichsweise späten Unterrichtsbeginn haben, oder indem wir das Lernen mit möglichst viel Bedeutung versehen. Somit wird das „Auswendiglernen für die nächste Klassenarbeit“ deutlich reduziert. Insgesamt erleben wir, dass das Lernen auch in dieser spannenden Entwicklungsphase gut und stressfrei möglich ist.“
Der überaus gelungene und humorvolle Vortrag endete mit einer persönlichen Beratungsrunde, in der Ralph Bölzner viele individuelle Fragen und Anliegen der Besucher beantwortete. Aufgrund des gelungenen Abends sind sich die Verantwortlichen in der Erziehungspartnerschaft sicher: Es wird weitere Vorträge dieser Art geben!
Zur Person
Ralph Bölzner ist Diplom-Psychologe und arbeitet beim Fachdienst Erziehungspartner des Landkreises Calw.
Der Fachdienst Erziehungspartnerschaft begleitet und berät die Familien mit den Erziehungspartnern (Schule, Kindergärten etc.), wenn es um Fragen zur Erziehung eines Kindes geht.